Im Rahmen des bfd STEUER-KONVENT sprach Simba Geschäftsführer Michael Brhel im Juni zu den Umwälzungen im Steuerberatermarkt, ihren Ursachen und wie eine Kanzlei dennoch zukunftsfähig bleiben kann.
Der jährlich im Juni statt findende digitale Kongress für Führungskräfte und Mitarbeitende in Steuerberatung und Wirtschaftsprüfung bietet praxisnahe Lösungsansätze für die Steuerberatung und Wirtschaftsprüfung, informiert über aktuelle Trends und Entwicklungen
und gibt Impulse für die Organisation von Steuer- und Wirtschaftskanzleien.
Zusätzlich erschien in der bfd Infoline ein Fachartikel von Michael Brhel zum Thema, den wir Ihnen nachfolgend gerne zum Download bereitstellen.
Die Digitalisierungswelle hat die Branche bereits seit Jahren erfasst und auch die Nutzung künstlicher Intelligenz beginnt sich in den Kanzleien zu etablieren. Dennoch wird bisher in den wenigsten Kanzleien das klassische Geschäftsmodell hinterfragt, vielmehr wird unter Nutzung der Digitalisierungseffekte „business as usual“ betrieben, d.h. in der Regel (Vor-) Erfassungsarbeiten aus den Kanzleien faktisch zum Mandanten ausgelagert und im besten Fall kanzleiinterne Arbeitsabläufe in Teilen optimiert. In den allermeisten Kanzleien aber liegt der Fokus somit auf der Optimierung bestehender Strukturen und Abläufe, eine kritische Betrachtung oder gar ein Redesign der Geschäftsmodelle erfolgt häufig nicht. Die zunehmende Nutzung künstlicher Intelligenz (KI) wird jedoch nicht nur ein bloßes Überdenken, sondern eine Neudefinition der Geschäftsmodelle der allermeisten Kanzleien unumgänglich machen.
Die Erkenntnis, dass der Branche einschneidende Veränderungen bevorstehen, ist nicht neu. Vielmehr ist es für Kanzleiinhaber nun an der Zeit, diese pauschale Erkenntnis in ihre Komponenten zu trennen, diese zu analysieren und Maßnahmen für die sich daraus ergebende, notwendige Repositionierung der eigenen Kanzlei abzuleiten. lm Wesentlichen ergeben sich aus dieser Analyse drei zu analysierende Einflussfaktoren:
1. Technische Implikationen
2. Veränderungen des Tätigkeitsfeldes des Steuerberaters durch den Einsatz von KI und der damit einhergehenden Automatisierung von Standardtätigkeiten
3. Verschiebung der Anforderungsprofile der Mitarbeiter in Steuerkanzleien
Der Bereich der künstlichen Intelligenz entwickelt sich in einer bisher nicht gekannten Rasanz. Gestern noch unvorstellbare Funktionen sind heute schon Realität. Man denke hier an KI für Benutzeroberflächen, Videogeneratoren, Schaffung konsistenter Charaktere im Unterhaltungsbereich mittels KI, lokale Sprachmodelle, KI-Assistenten betreffend die Beantwortung von Fragen zu Dokumenten und zur Erstellung von Zusammenfassungen, Beantwortung von Produktfragen und intelligente Comboboxen. Den denkbaren Nutzungsszenarien für die Zukunft scheinen hier kaum Grenzen gesetzt zu sein.
Auch in Callcentern erledigt KI bereits die Arbeit von teilweise mehreren hundert Mitarbeitern. Anrufe von Kunden und Interessenten werden mittels KI vollumfänglich abgewickelt.
In Fastfood Restaurants wird KI zur laufenden Angebotsaktualisierung und zum Surge Pricing, d.h. zur dynamischen Preisanpassung im laufenden Geschäftsbetrieb, genutzt. Die steigende Verfügbarkeit hoch performanter KI-Hardware befördert darüber hinaus diese Entwicklung. Die Dynamik in diesem Bereich wird sich auf absehbare Zeit weiterhin auf einem sehr hohen Niveau fortsetzen und zukünftig wohl noch deutlich erhöhen.
Doch wo Licht ist, ist auch Schatten. Der Datenschutz ist weiterhin ein strittiger Punkt, sei es auf EU- oder Drittlandsebene. Die Betriebskosten im KI-Sektor wachsen teilweise überproportional zu den Umsätzen. Qualitätsmängel werden zusehends evident und Erwartungshaltungen der Nutzer bleiben hinsichtlich des Preis-/Leistungsverhältnisses in Teilen unerfüllt. Auch häufen sich derzeit kriminelle Nutzungsszenarien.
Nichtsdestotrotz ist KI auf dem Vormarsch und die diesbezügliche Entwicklung unterliegt bereits seit längerem einer nicht reversiblen Eigendynamik. Auch ist festzustellen, dass die Zuverlässigkeit von KI in definierten, abgrenzbaren und in sich geschlossenen Bereichen ihrer Anwendung zunehmend zuverlässiger und präziser arbeitet.
Zunächst drängt sich die Frage auf, was das Ganze mit der Tätigkeit eines Steuerberaters und seines derzeitigen Tätigkeitsbereiches und vor allem mit dem Zukunftspotential seiner Kanzlei zu tun hat?
Sehr viel, denn die sich ausweitende Nutzung von KI bewirkt innewohnend einen sich permanent erhöhenden Automatisierungsgrad hinsichtlich der in einer Kanzlei durchzuführenden Routinetätigkeiten. Mit fortschreitendem Entwicklungsstand von KI werden zukünftig immer komplexer werdende Sachverhalte automatisiert abgebildet, d.h. bearbeitet, werden können.
Im Bereich der Belegerfassung und -bearbeitung sorgt KI für optimierte Erkennungsergebnisse, die den heute üblichen und sich seit vielen Jahren in Einsatz befindlichen optoelektronischen Erkennungstechniken deutlich überlegen und weitgehend fehlerfreie Ergebnisse zu erzeugen im Stande sind. Diese optimierten Erkennungsergebnisse sind ihrerseits Bedingung, um mittels KI den durch den jeweiligen Beleg definierten Buchungsstoff vollständig automatisiert zu verbuchen. Doch selbst diese per se beeindruckende Fähigkeit der KI ist bei weitem nicht hinreichend, um nachhaltig sinnvolle Automatisierungsschritte zu implementieren. Daher sind besonders leistungsfähige Systeme bereits heute in der Lage, mittels KI-Logik automatische Aufteilungen der Rechnungspositionen durchzuführen, insbesondere auch bei einer sehr großen Anzahl von Rechnungspositionen. Diese Funktion, gepaart mit der zuvor beschriebenen Fähigkeit der vollautomatisierten Verbuchung, ist disruptiv.
Hinzu kommen Entwicklungen im Bereich der Chatbot Integration und die Potentiale lokaler Sprachmodelle, insbesondere im Hinblick der Auswertbarkeit lokaler Daten. Im Bereich der lokalen Globaldaten denke man hier beispielsweise an Themen wie die Onlinehilfe, an Gesetzestexte, oder auch an Anleitungen. Hinsichtlich lokaler Individualdaten sind beispielsweise Auftragsdaten, sonstige Dokumente und die Stammdaten von Interesse. Aber auch die Chatbot Nutzung zur Anwendungssteuerung, beispielsweise zur semantischen Suche und zur Sprachsteuerung, sowie zur Sicherung der Datenqualität, wie die Suche nach Dubletten und ähnlichen Buchungstexten, sind konkrete Anwendungsszenarien.
Dennoch wird es sich gerade beim Erkennen von Rechnungsdokumenten nur um einen Übergangsschritt bzw. um eine Brückentechnologie handeln, da mit der bereits beschlossenen Umsetzung der elektronischen Rechnungsformate, hier insbesondere ZUGFeRD und X-Rechnung, das Erkennungsproblem verschwinden werden wird und zukünftig lediglich Dateiinhalte KI-seitig vollständig automatisiert verarbeitet werden.
In Summe werden diese Entwicklungen letzten Endes dazu führen, dass sich der Automationsgrad in Kanzleien stetig erhöhen wird und sämtliche Tätigkeiten, die je nach Kanzlei einen erheblichen Teil des derzeitigen Tagesgeschäftes ausmachen, vollumfänglich automatisiert unter Nutzung der Möglichkeiten, die KI bietet, erledigt werden. Somit steht die Branche derzeit an der Schwelle zur vollautomatisierten Erkennung, Belegerfassung, Kontierung, Aufteilung und Verbuchung des Buchungsstoffes samt der hieraus zu erzeugenden Auswertungen.
Auch ist die Idee sich dieser Entwicklung zu verschließen nicht zielführend, da schon aus schierem Mangel an Fachpersonal viele Kanzleien den Schritt zur Automatisierung gehen werden, um ihre Aufgaben überhaupt erfüllen zu können. Neben dem Effekt der dann wieder möglichen Abarbeitung der Aufträge wird sich im Zeitverlauf ein erheblicher Rationalisierungseffekt einstellen: Durch die vollautomatisierte Verarbeitung des gesamten Buchungsprozesses und wesentlicher Teile der Auswertungen, werden Fachkräfte obsolet, da mit stetig steigender Zuverlässigkeit der Systeme nicht nur verbliebene Kontrolltätigkeiten entfallen, sondern darüber hinaus die Systeme 24 Stunden täglich an 365 Tagen im Jahr arbeiten, und das bei deutlich geringeren Kosten als für das diese Tätigkeiten manuell durchführende Personal anfallen würde. Somit ist bereits aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit die KI Nutzung branchenweit gesetzt.
Aber auch die Mandanten befinden sich selbst im Prozess der KI gestützten Digitalisierung und erkennen ihrerseits das aus dieser Entwicklung resultierende Kostendegressionspotential. In der Folge wird es immer schwieriger für den Berufsstand werden, für nun automatisierte Prozesse, weiterhin die gewohnten Honorarvorstellungen am Markt durchzusetzen.
Außerdem dürfen politische Bestrebungen, beispielsweise die Durchführung von derzeit noch bestehenden Vorbehaltsaufgaben durch dritte Dienstleister zu ermöglichen, grundsätzlich nicht übersehen und in die Gesamtbetrachtung mit einbezogen werden, da es die Wettbewerbssituation für den Berufsstand zusätzlich verschärfen würde.
In Summe werden also wesentliche manuelle und durch Mitarbeiter durchzuführende Tätigkeiten zukünftig maschinell, d.h. unter Nutzung von KI, mit hoher Zuverlässigkeit erledigt werden. Somit stellt sich die Frage nach der zukünftigen Rolle des Berufsstandes und dessen Tätigkeiten?
Doch das schleichende Auslaufen des bisher üblichen und auf die manuelle Ausführung der Buchhaltung sowie die bloße Erstellung von Steuererklärungen zentrierten Geschäftsmodells sollte nicht als Bedrohung, sondern als Chance wahrgenommen werden. Denn in jeder Kanzlei schlummert – bis dato weitestgehend ungenutzt – ein Potential, an das sich die wenigsten Berufsträger bisher faktisch in der Praxis heranwagen. Die Rede ist von vollumfänglicher kaufmännischer Beratung der Mandanten. Viele Berufsträger schrecken möglicherweise zunächst vor der Nutzung dieser Option zurück, bei näherer Betrachtung jedoch, erweist sie sich als reales und tragfähiges Zukunftspotential, um den sich verändernden Anforderungen an den Berufstand Rechnung tragen zu können.
In der Regel kennt der Steuerberater seine Mandanten, ihre persönlichen, rechtlichen, familiären, finanziellen und steuerlichen Verhältnisse, wie kein anderer. Somit ist er in der Lage, nicht nur punktuell, sondern aus einer gesamtheitlichen Sichtweise heraus beratend zur Seite zu stehen und somit einen optimalen Mehrwert für seine Mandantschaft zu generieren.
Darüber hinaus verfügt er über sämtliche finanziellen und steuerlichen Informationen, die zur optimalen vollumfänglichen Beratung der Mandanten erforderlich sind. Dies beginnt beim Optimieren des Forderungsmanagements, führt über eine laufende Liquiditätsüberwachung und -planung, der Wahrnehmung sämtlicher operativer Controllingaufgaben, der Optimierung des Zahlungsverhaltens und -managements, der Kostensteuerung, der Kalkulation, der kurz- und mittelfristigen Unternehmensplanung, der Vermögensoptimierung, um nur einige Potentiale aufzuzeigen, hin zu einer echten steuerlichen Optimierung jedes einzelnen Mandanten. Mandantenindividuell gibt es unzählige Beratungsoptionen, die lediglich erkannt und gehoben werden müssen.
Diese Entwicklung wird sich in zunehmenden Maße auf die Anforderungsprofile der Mitarbeiter und die Personalstruktur in den einzelnen Kanzleien niederschlagen. Durch die fortschreitende KI- Nutzung werden Mitarbeiter, die für manuelle Buchhaltungstätigkeiten in der Kanzlei eingesetzt werden, zunehmend nicht mehr benötigt werden. Dieser Prozess wird sich schleichend fortsetzen, so dass in den anstehenden Transmissionsphasen ein sanfter Übergang möglich sein sollte. Auch besteht die Möglichkeit, dazu befähigte Mitarbeiter entsprechend fortzubilden und an die veränderten Anforderungsprofile heranzuführen.
Zukünftig wird nicht die Fähigkeit, typische Buchhaltungsarbeiten manuell erledigen zu können, gefordert werden, sondern betriebswirtschaftliches Beratungswissen. Und das stellt eine besondere Herausforderung für den Berufstand dar. Die Loslösung von klassischen Denkweisen im Bereich der Personalqualifikation, der Personalbeschaffung, der Personalführung und der einschlägigen Weiterbildung ist somit unumgänglich. Denn das Aufgabenspektrum und die Anforderungen an die Mitarbeiter werden zunehmend breiter werden.
Es gilt schließlich zu bedenken, dass die Erwartungen an die Veränderungen der kommenden zwei Jahre stets deutlich zu hoch sind, jedoch die Veränderungen der kommenden zehn Jahre regelmäßig erheblich unterschätzt werden.
Dieser Artikel erschien zuerst in der bfd Infoline, Ausgabe 2/2024.